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Weiter Hickhack um Rechtsgrundlage für Videoaufzeichnung von Verkehrssündern

Videoaufzeichnungen von Verkehrssündern benötigen eine ausreichende Rechtsgrundlage. Foto: Steffen Eichner - stock.adobe.com

Bei der Verteidigung gegen Bußgeldbescheide sind speziell bei Videoüberwachungssystemen seit einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 11. August 2009 rechtliche Bedenken gegen die Verwertbarkeit der Messung in den Vordergrund getreten (Az.: 2 BvR 941/08). Doch während danach für manchen Autofahrer der Strafzettel keinen Bestand hat, müssen andere das Bußgeld schlucken.

Ministerieller Erlass genügt für einen Grundrechtseingriff nicht

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hatte mit seiner Entscheidung im Zusammenhang mit der Feststellung und Verfolgung von Geschwindigkeits- und Abstandsverstößen mit dem videogestützten Verkehrskontrollsystem Vidit VKS für Aufsehen gesorgt. Sinngemäß hatte das BVerfG erkannt, dass es unzulässig ist, die Rüge des Betroffenen im Bußgeldverfahren zu übergehen, die Feststellung eines Geschwindigkeitsverstoßes mittels permanenter Videoaufzeichnung sei ohne entsprechende Rechtsgrundlage erfolgt und daher rechtswidrig. Die Verfassungsrichter haben klargestellt, dass ein Grundrechtseingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung eines Verkehrsteilnehmers durch eine Videoaufzeichnung von einer Rechtsgrundlage getragen sein muss, die verfassungsrechtlichen Grundsätzen genügt. Ein ministerieller Erlass wie im Ausgangsfall genüge diesen Anforderungen keinesfalls.

Für eine verdachtsunabhängige Videoaufzeichnung ist ein formales Gesetz erforderlich

Anders als beispielsweise bei jeglicher Art von “Bliterzfotos“ sei zur Anfertigung einer „durchlaufenden“, verdachtsunabhänigen Videoaufzeichnung eine Ermächtigung durch ein hinreichend bestimmtes und verhältnismäßiges formales Gesetz erforderlich. Anders als bei Messverfahren wie „Traffipax Speedophot“ oder „Traffiphot S“, wo nur Fahrzeuge beziehungsweise Fahrzeugführer mittels Bilddokumentation erfasst werden, bei welcher aufgrund des Ergebnisses der Berechnungen der Messeinrichtung der Verdacht einer Zuwiderhandlung bereits bestätigt ist, wird das Verkehrskontrollsystem Vidit VKS 3.01 in der Regel so eingesetzt, dass die eigentliche Messkamera auf der Brücke aufgestellt wird. Sie filmt die gesamte erkennbare Fahrbahnstrecke, meist 400 bis 500 m weit. Eine zweite Kamera kann dann zur Fahreridentifizierung oder zur Feststellung der Kennzeichen tiefer angebracht werden. Diese hat mit der eigentlichen Geschwindigkeits- und Abstandsbestimmung nichts zu tun. Der Aufbau dieser Kameras entspricht also grundsätzlich dem bereits bekannten VAMA-System. Ebenso wie bei diesem System ist die zweite Kamera zur Fahreridentifizierung / Kennzeichenfeststellung jedoch mit der Messkamera synchronisiert. Die Auswertung des kodierten Videobandes erfolgt durch ein spezielles Computersystem. Dabei wird die Perspektive im Videobild berechnet und mittels einer sogenannten Framegrabber-Karte eine perspektivische Transformation durch Erstellung eines Messrasters durchgeführt. Auf diese Weise können beliebige Punkte auf der Fahrbahnoberfläche digitalisiert und der zurückgelegte Weg eines Fahrzeuges sowie - im Zusammenhang mit der Kodierung - die Geschwindigkeit des Fahrzeuges berechnet werden.

Die Karlsruher Richter haben in der Anfertigung der Videoaufzeichnung der Verkehrsteilnehmer einen Verstoß gegen das verfassungsmäßige Recht auf informationelle Selbstbestimmung und gegen die informationellen Schutzinteressen des Einzelnen erblickt und daher die Gewinnung und Nutzung solcher Daten im Bußgeldverfahren ohne eine formal-gesetzliche Eingriffsgrundlage als Grundrechtsverstoß gebrandmarkt. Dabei hat der Senat ausdrücklich festgestellt: „Inwieweit zwischen Übersichtsaufnahmen des auflaufenden Verkehrs und Aufnahmen der Fahrzeugführer sowie der Kennzeichen zu differenzieren ist, kann offen bleiben.“

Einigen Gerichten reicht die Strafprozessordnung als Ermächtigung aus

Im Anschluss an diese bemerkenswerte Entscheidung des BVerG hat es Reihe von Gerichtsentscheidungen zu Fällen gegeben, in denen Betroffene der Verwertung mittels Videomessung gewonnenen Daten mit Vidit VKS oder verwandten Messverfahren widersprochen haben. Die hierzu vorliegenden Gerichtsentscheidungen lasse sich in zwei Gruppen einteilen: Teilweise haben die Gerichte trotz der Entscheidung des BVerfG die Betroffenen verurteilt und dabei die aufgrund der jeweiligen Video-Messung gewonnenen Daten zugrunde gelegt, zum Teil sind die Betroffenen bei Annahme eines Beweisverwertungsverbotes freigesprochen worden.

Derzeit sind zwei konträre oberlandesgerichtliche Entscheidungen bekannt. Das OLG Bamberg, dem sich freilich viele Behörden angeschlossen haben, sieht dabei § 100h Strafprozessordnung (StPO) als Ermächtigungsgrundlage für die Videomessung an (Beschluß vom 16.11.2009, Az.: 2 Ss OWi 1215/09). Nach Auffassung der Bamberger Richter, deren Entscheidung ein Fall des sogenannten Brückenabstandsmessverfahrens (VAMA) zugrunde lag, sei durch die Aufnahmen der sogenannten Identifizierungskamera ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung gegeben, weil hierdurch Lebensvorgänge beobachtet und technisch fixiert werden, die später zu Beweiszwecken abgerufen und ausgewertet werden. Jedoch gebe es, wenn diese Identifizierungskamera vom Messbeamten manuell gestartet werde, bereits einen Anfangsverdacht für die Begehung einer Ordnungswidrigkeit, so dass dessen Aufzeichnung per Video eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage in § 100h I 1 Nr. 1 StPO habe. Mit dieser Argumentation versuchen aktuell auch einige Polizeipräsidien Messungen mit dem Brücken-Abstandsmessverfahren der Firma Deininger (VIBRAM) zu rechtfertigen.

Das OLG Oldenburg orientiert sich an der Entscheidung der Verfassungsrichter

Eine gegensätzliche Position hat das Oberlandesgericht Oldenburg im Hinblick auf Messungen mit dem Verkehrskontrollsystem VKS 3.0 eingenommen. Auch bei diesem Messverfahren werden in der Regel mindestens zwei Videoaufzeichnungen vorgenommen, nämlich eine sogenannte Tatvideoaufzeichnung, mit welcher die Abstands und Geschwindigkeitsmessung durchgeführt wird, sowie eine Fahrervideoaufzeichnung, welche der Identifikation der Fahrer und der Kennzeichenerfassung dient . Unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 11.08.2009 hatte das Amtsgericht (AG) diese Art der Messung mit Rücksicht auf das Fehlen einer gesetzlichen Grundlage in Niedersachsen als verfassungswidrigen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung angesehen. Weiterhin war es zu dem Schluss gelangt, dass der Verwertung des rechtswidrig erlangten Messergebnisses ein Beweisverwertungsverbot entgegenstehe. Mit der Messung sei automatisch und unvermeidbar die Aufnahme einer unüberschaubaren Vielzahl von Personen verbunden, welche sich rechtskonform verhielten und über deren persönliche Information dem Staat ein Erfassungsrecht nicht ohne Gesetz zustehe. Dieser mit dem Messverfahren verknüpfte ungerechtfertigte Eingriff in die grundgesetzlich geschützten Rechte einer Vielzahl von Verkehrsteilnehmern führe dazu, dass dem Verfahren per se eine Verfassungswidrigkeit innewohne. Diese Auffassung hat das OLG Oldenburg in seiner Entscheidung vom 27.11.2009 bestätigt (Az.: Ss Bs 186/09). Ein Beweisverwertungsverbot haben bejaht haben neben OLG Oldenburg, unter anderem auch AG Lünen, AG Eilenburg, AG Grimma, AG Meissen, AG Ludwigslust, AG Kamenz.

Der Auffassung des OLG Oldenburg ist mit Einschränkungen der Vorzug zu geben. Die Heranziehung des §100h I 1 Nr.1 StPO als Rechtsgrundlage mutet seltsam an. Greift das OLG Bamberg doch hierbei auf eine strafprozessuale Vorschrift zurück, die vor dem Hintergrund aktueller Gefährdungsszenarien durch Terrorismus und andere Arten organisierter Kriminalität intensive Grundrechtseingriffe möglich macht. Schon der Blick in die Kommentierung zu dieser Vorschrift zeigt, dass mit „Bildaufnahmen“ im Sinne des § 100h I 1 Nr. StPO die Herstellung von Bildaufnahmen zum Zwecke der Observation gemeint ist und die Fertigung von Lichtbildern am Tatort zur Beweissicherung und Auswertung nicht unter diese Norm fällt. Bei der Feststellung von Verkehrsverstößen handelt es sich aber wohl kaum um Observationen, sondern eher um Lichtbilder, die am Tatort zur Beweissicherung und Auswertung gefertigt werden. Die Heranziehung von § 100h I 1 Nr. 1 StPO dürfte sich daher als nicht mehr als ein untauglicher Versuch darstellen, die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Rechtsgrundlage für Grundrechtseingriffe in Form von Videoaufzeichnungen von Verkehrsteilnehmern zu konstruieren.

Gerichte und Polizei müssen den Datenschutz ernst nehmen

Statt derartige Seifenblasen abzulassen , sollten Gerichte und Polizeibehörden die schallende Ohrfeige des Bundesverfassungsgerichts in Sachen Datenschutz ernst nehmen, und entsprechende Verkehrsüberwachungsmaßnahmen solange einstellen, bis der Gesetzgeber eine ausreichende gesetzliche Eingriffsgrundlage geschaffen hat. Der BVerfG hat eine klare Ansage gemacht. Entsprechende Unzulänglichkeiten sollten im Interesse der Verkehrssicherheit schnellstens beseitigt werden, statt sie auf dem Rücken der Autofahrer auszutragen, von denen auch nur diejenigen Recht bekommen können, die in der Lage sind sich gegen entsprechende Bußgeldbescheide anwaltlich zu wehren und der Beweisverwertung zu widersprechen. Weitere obergerichtliche Urteile im Sinne der Betroffenen zeichnen sich ab. Ich werde berichten.

Christian Demuth, Düsseldorf
Rechtsanwalt l Fachanwalt für Strafrecht
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