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EuGH erteilt zweitem EU-Führerschein klare Absage

EuGH erteilt zweitem EU-Führerschein klare Absage

Ein neues Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) stellt einmal mehr klar, dass das System der gegenseitigen Anerkennung von Führerscheinen kein Schlupfloch für Verkehrssünder ist. Wer in einem Staat den Führerschein verliert, soll sich nicht mit einem zweiten Führerschein aushelfen können. Schon ab dem Vorfall, der ein Verfahren zur Aberkennung einer Fahrerlaubnis in Gang setzt, soll die Möglichkeit der Aberkennung einer anschließend in einem anderen EU-Land erteilten EU-Fahrerlaubnis gegeben sein.

Dem Urteil der Luxemburger Richter lag ein Vorabentscheidungsersuchen des Landgerichts Siegen im Rahmen eines Strafverfahrens gegen einen Deutschen mit Wohnsitz in Deutschland zugrunde, dem die Straftat des Fahrens ohne Fahrerlaubnis nach § 21 Straßenverkehrsgesetz (StVG) zur Last gelegt wurde. Auslöser der Sache war eine Polizeikontrolle am 18. September 2004 bei der er als Fahrer eines Kfz unter Einwirkung berauschender Mittel - Cannabis und Amphetamine - aufgefallen war. Wegen dieser Zuwiderhandlung gegen das StVG erhielt der Betroffene am 17. November 2004 einen Bescheid über ein Bußgeld und ein einmonatiges Fahrverbot.

Neue Fahrprüfung in Tschechien  

Noch bevor der Bußgeldbescheid am 4. Dezember 2008 Rechtsgültigkeit erlangte, bekam er von den Behörden einer tschechischen Stadt nach bestandener Fahrprüfung am 18. November 2004 einen für zehn Jahre gültigen Führerschein ausgestellt. Als Datum der Führerscheinprüfung war im tschechischen Führerschein der 16. November 2004 verzeichnet.

Als er im Januar 2005 vom Ordnungsamt informiert wurde, dass wegen der Drogenfahrt von September 2004 ein Verfahren zur Überprüfung seiner Fahrereignung eingeleitet wurde, gab er seinen deutschen Führerschein im Februar bei der Verwaltungsbehörde ab. Mit einem am 5. April 2005 bestandskräftig gewordenem Bescheid entzog ihm die deutsche Verwaltungsbehörde die Fahrerlaubnis, was das Erlöschen des Rechts zum Führen von Kraftfahrzeugen in Deutschland bedeutete.

Neun Monate später wurde der Neu-Inhaber des tschechischen EU-Führerscheins als Führer eines Kfz in Deutschland nach einer Polizeikontrolle wegen Verdachts auf Fahren ohne Fahrerlaubnis angezeigt und schließlich im August 2006 vom Amtsgericht  wegen dieses Vergehens verurteilt. Gegen diese Verurteilung wehrte sich der Mann und legte mit dem Ziel eines Freispruchs Berufung beim Landgericht Siegen ein. Er war der Auffassung, sich nicht wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis strafbar gemacht zu haben, da er sich Inhaber einer tschechischen Fahrerlaubnis auf den in der EG-Richtlinie 91/ 439/EWG aufgestellten Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der in den EU-Mitgliedsstaaten ausgestellten Führerscheine berufen könne. Das Siegener Berufungsgericht setzte das Strafverfahren zunächst aus und legte dem Europäischen Gerichtshof diese vorab zu klärende Frage zur Entscheidung vor.

Das  Berufungsgericht legte dem EuGH die zu klärende Frage zur Entscheidung vor

Zu entscheiden war, ob die Bestimmungen der EG-Führerscheinrichtlinie so auszulegen seien, dass sie es einem Mitgliedsstaat verwehrt, in seinem Hoheitsgebiet die Anerkennung einer Fahrerlaubnis, die sich aus einem in einem anderen Mitgliedsstaat ausgestellten Führerschein ergibt, und damit die Anerkennung der Gültigkeit dieses Führerscheins abzulehnen, wenn dessen Inhaber im erstgenannten Mitgliedsstaat die Fahrerlaubnis durch eine Maßnahme entzogen wurde, die zwar erst nach dem Zeitpunkt der Ausstellung des fraglichen Führerscheins, jedoch zur Ahndung einer vor diesem Zeitpunkt festgestellten Zuwiderhandlung erlassen worden ist.   

Auf den zugrunde liegenden Fall bezogen lautete die Frage also, ob die deutsche Verwaltungsbehörde die Gültigkeit des  tschechischen EU-Führerscheins in Deutschland verneinen darf, obwohl dieser erteilt wurde, als eine Entziehung beziehungsweise Aberkennung einer Fahrerlaubnis in Deutschland noch nicht erfolgt, allerdings der Grund für die spätere Aberkennung - hier die Drogenfahrt - schon entdeckt war. 

Die EU-Richter beantworten die Vorlagefrage mit einem klaren Ja

In seiner Begründung erinnert der EuGH zunächst daran, dass der allgemeine Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der von den EU-Mitgliedsstaaten ausgestellten Führerscheine zuvorderst aufgestellt wurde, um die Freizügigkeit von Personen zu erleichtern, die sich in einem anderen Mitgliedsland niederlassen, als demjenigen, in dem sie ihre Fahrprüfung abgelegt haben. Die Anerkennung solcher Führerscheine habe ohne jede Formalität zu erfolgen.

Dann  verweisen die Richter jedoch auf die in Art. 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/ 439 statuierte Ausnahme vom Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung, der es jedem einzelnen Mitgliedsstaat insbesondere aus Gründen der Verkehrssicherheit gestattet, die eigenen innerstaatlichen Vorschriften über Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis auf jeden Inhaber eines Führerscheins anzuwenden, der seinen Wohnsitz in seinem Hoheitsgebiet hat. So sei ein Mitgliedsstaat auch jederzeit berechtigt, die Anerkennung eines Führerscheins für das eigene Hoheitsgebiet zu verweigern, der von einem anderen Mitgliedsstaat einer Person ausgestellt wurde, auf die im eigenen Hoheitsgebiet eine Maßnahme der Einschränkung, Aussetzung, Entziehung oder Aufhebung der Fahrerlaubnis angewendet wurde.

Der Grundsatz gegenseitiger Führerschein-Anerkennung gilt nicht uneingeschränkt

Dies gelte auch im hier vorgelegten Fall. Zum Zeitpunkt als der Betroffene die tschechische Fahrerlaubnis erwarb, also am 18. November 2004, habe schon eine am 17. November 2004 verhängte und am 4. Dezember 2004 bestandskräftig gewordene befristete Aussetzung seiner deutschen Fahrerlaubnis gegolten. Im Übrigen stehe auch fest, dass der Sachverhalt, welcher den die befristete Aussetzung, also das Fahrverbot, als auch den Entzug der Fahrerlaubnis rechtfertigt am 18. September 2004 festgestellt wurde, also vor dem Zeitpunkt der Ausstellung des tschechischen Führerscheins.    

Zwar habe der Gerichtshof in früheren Urteilen zur Frage der gegenseitigen  Anerkennung festgestellt, dass ein Mitgliedsstaat seine Befugnis zur Anwendung innerstaatlichen Rechts auf die ausländische EU-Fahrerlaubnis nur aufgrund eines nach dem Erwerb der ausländischen Fahrerlaubnis gezeigten Verhaltens des Betroffenen hat. Die Richter verweisen insoweit auf die Urteile Wiedemann und Funk, Zerche sowie die Beschlüsse Halbritter und Kremer. Für die diesen Entscheidungen zugrunde liegenden Rechtssachen war charakteristisch, dass die mit der Entziehung der Fahrerlaubnis verbundenen Sperrfristen für die Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis allesamt im Zeitpunkt der Erteilung abgelaufen waren oder - wie im Fall Kremer - keine Sperrfrist verhängt worden war. 

Allein die Tatsache, dass dem Inhaber eines in einem anderen Mitgliedsstaat ausgestellten Führerscheins im Mitgliedstaat des ordentlichen Wohnsitzes schon einmal eine frühere Fahrerlaubnis entzogen wurde, genüge deshalb nicht als Grund für die Verweigerung der Anerkennung der vom anderen Mitgliedsstaat ausgestellten Fahrerlaubnis.

Der hier vorgelegte Fall sei aber auch mit einer solchen Situation nicht vergleichbar. Auf den Betroffenen  sei nämlich bereits im Zeitpunkt des Erwerbs der tschechischen Fahrerlaubnis eine von der zuständigen deutschen Behörde erlassene Maßnahme einer befristeten Aussetzung seiner deutschen Fahrerlaubnis angewandt worden. Außerdem sei gegen ihn nach der Erteilung der tschechischen Fahrerlaubnis eine Maßnahme des Entzugs der Fahrerlaubnis verhängt worden, mit der dieselbe Tat geahndet wurde, wegen derer bereits das Fahrverbot gerechtfertigt war. Der Umstand, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis erst nach der Erteilung der ausländischen Fahrerlaubnis erfolgte, sei deshalb ohne Bedeutung.

Sanktionen nach Verkehrsverstößen dürfen nicht unterlaufen werden

Die Befugnis eines Mitgliedstaates, es abzulehnen, die Gültigkeit einer in einem anderen Mitgliedsstaat erworbenen Fahrerlaubnis abzulehnen, liefe nach Ansicht des EuGH sonst ins leere. Der Grundsatz, dass allein der Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet eine Zuwiderhandlung begangen wird, dafür zuständig ist, diese gegebenenfalls durch eine Maßnahme des Entzuges, eventuell verbunden mit einer Sperrfrist, zu ahnden würde ausgehöhlt, wenn sich jeder Täter von Zuwiderhandlungen nur unverzüglich in einen anderen Mitgliedstaat begeben müsste, um dort über den Erwerb einer „zweiten EU-Fahrerlaubnis“ den verwaltungs- und strafrechtlichen Folgen seiner Zuwiderhandlung zu entgehen.

Die EuGH-Richter sind der Auffassung, dass eine solche Möglichkeit nicht zuletzt das Vertrauen unterminieren würde, auf welchem das System der gegenseitigen Anerkennung von Führerscheinen letztlich beruhe. Außerdem ergebe sich sowohl aus dem Geist und dem Wortlaut der EG-Führerscheinrichtlinie, dass eine Person nur Inhaber eines einzigen von einem Mitgliedsstaat ausgestellten Führerscheins sein kann. Es hätte auch gegen dieses Prinzip verstoßen, wenn im Fall des Herrn Weber der von den tschechischen Behörden ausgestellte Führerschein anerkannt worden wäre, denn er war im Ausstellungszeitpunkt immer noch Inhaber einer deutschen Fahrerlaubnis.

Eigene Anmerkung:

Die Erwägungen des EuGH verdienen vor dem Hintergrund des Geistes der EG-Führerscheinrichtlinie, die Sicherheit im Straßenverkehr zu verbessern und die Freizügigkeit von Personen zu gewährleisten, Anerkennung. Jedoch ist es fragwürdig, wenn das Gericht in seiner Begründung darauf abstellt, dass in dem hier zur Entscheidung vorgelegten Fall der Betroffene im Zeitpunkt der Ausstellung der ausländischen EU-Fahrerlaubnis bereits „einer Maßnahme der befristeten Aussetzung der Fahrerlaubnis unterlag“. Dem steht nämlich entgegen, dass die Rechtskraft des das Fahrverbot anordnenden Bußgeldbescheides am 4.12.2009 erst nach der Ausstellung des tschechischen Führerscheins am 18.11.2009 erfolgte. Der Betroffene unterlag daher zum Zeitpunkt der Ausstellung des tschechischen Führerscheins weder einer Maßnahme der befristeten Aussetzung seiner Fahrerlaubnis, noch war seine Zuwiderhandlung überhaupt rechtskräftig festgestellt worden.

Selbst wenn der Bußgeldbescheid im Ausstellungszeitpunkt bereits rechtskräftig gewesen wäre, stünde der  Annahme des EuGH, der Betroffene hätte bereits einer Maßnahme der befristeten Aussetzung seiner Fahrerlaubnis „unterlegen“ oder diese sei - wie an anderer Stelle gesagt wird - in Bezug auf ihn „gültig“ oder „angewandt“ worden, die Aussage des § 25 Abs. 2a StVG über die Wirksamkeit des angeordneten Fahrverbotes entgegen. § 25 Abs. 2a StVG bestimmt eindeutig, „dass das Fahrverbot erst dann wirksam wird, wenn der Führerschein nach Rechtskraft der Bußgeldentscheidung in amtliche Verwahrung gelangt, spätestens jedoch mit Ablauf von vier Monaten seit Eintritt der Rechtskraft“.

Auch wirft die Formulierung des EuGH „wenn auf die befristete Aussetzung der Fahrerlaubnis ein Entzug der Fahrerlaubnis folgt, mit dem dieselbe Tat geahndet wird“ die Frage auf, ob die Richter beziehungsweise der Generalstaatsanwalt das eigentümliche System der deutschen Vorschriften im Blick hatten. Die in Deutschland geltende zweigleisige, getrennte Behandlung eines fahrerlaubnisrelevanten Sachverhaltes in einem Ordnungswidrigkeiten- beziehungsweise Strafverfahren und einem anschließenden Verwaltungsverfahren der Fahrerlaubnisbehörde kommt in der Artikulation des EuGH nicht zum Ausdruck. Der Entzug der Fahrerlaubnis durch die Fahrerlaubnisbehörde stellt keine „Ahndung“ derselben Tat dar, sondern macht sich an Zweifeln an der Fahreignung des Betroffenen fest, welche in der Regel - aber nicht zwangsläufig - im selben Sachverhalt begründet sind, der zuvor einer durch eine Straf- oder Bußgeldentscheidung sanktioniert wurde. Einer anderen Sichtweise steht schon das Verbot der Doppelbestrafung entgegen.

Es hätte genügt, wenn der EuGH festgestellt hätte, dass die Berechtigung eines Mitgliedstaates zur Verweigerung der Anerkennung beziehungsweise zur Aberkennung eines Führerscheins, den eine Person in einem anderen Mitgliedsstaat erworben hat, unabhängig von dem Umstand besteht, dass der Entzug der Fahrerlaubnis erst nach der Erteilung der neuen Fahrerlaubnis angeordnet wird, wenn die Gründe, die diese Maßnahme rechtfertigen, zum Zeitpunkt der Erteilung der zweiten Fahrerlaubnis bereits vorlagen.
 

Christian Demuth, Rechtsanwalt im Bereich Verkehrsrecht, Düsseldorf: "Es ergibt sich sowohl aus dem Geist und dem Wortlaut der EG-Führerscheinrichtlinie, dass eine Person nur Inhaber eines einzigen von einem Mitgliedsstaat ausgestellten Führerscheins sein kann."

 


"Entscheidung-Weber". Der Beitrag nimmt Bezug auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 20.11.2008 (Az.: C-1/07). Das Urteil wird wegen des Familiennamens des Betroffenen im  zugrunde liegenden Fall als "Entscheidung-Weber" in die Reihe der Entscheidungen eingehen, in denen der EuGH zur Auslegung der EG-Führerscheinrichtlinie Stellung bezieht, wie Kapper, Halbritter,Wiedemann und Funk, Zerche.

 

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