Abstandsmessung: NRW lässt alle ViBrAM -Verfahren stoppen
Seltene Entwicklung im Verkehrsrecht: Das NRW-Innenministerium hat mit einem Erlass an sämtliche Bußgeldstellen im Bezirk des Oberlandesgerichts (OLG) Düsseldorf die Einstellung aller laufenden Ordnungswidrigkeitenverfahren verfügt, die aufgrund der Verkehrsüberwachung mit dem Video-Brückenabstandsmessverfahren (ViBrAM) eingeleitet wurden. Damit reagiert das Ministerium auf einen aktuellen Beschluss des OLG Düsseldorf vom 09.02.2010 (IV-3 RBs 8/10 2 Ss-OWi 4/10). Darin hat das Gericht einen Betroffenen freigesprochen, dessen Abstandsverstoß mit ViBrAM erfasst worden war.
Verstoß gegen informationelles Selbstbestimmungsrecht
Mit seiner Entscheidung stellt das OLG Düsseldorf fest, dass die mit dieser Anlage erfassten Daten nicht verwertbar seien, weil sie einem Beweisverwertungsverbot unterliegen. Nach Ansicht des Senats verstoße bereits die Primärüberwachung - die Übersichtsaufnahme des auflaufenden Verkehrs - durch eine ständig mitlaufende Kamera gegen das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen, da eine hinreichende gesetzliche Eingriffsgrundlage nicht existiere. Nach Ansicht der Richter sei es für die Rechtswidrigkeit nicht entscheidend, ob eine weitere Kamera existiert, die von einem Messbeamten zur Aufzeichnung einer spezifischen Videosequenz erst bei einem Anfangsverdacht eingeschaltet werde.
Der Erlass beschränkt sich nur auf die ViBrAM-Anlagen
Die nordrhein-westfälische Polizei verfügt derzeit über zwei ViBrAM-Anlagen, die durch das Polizeipräsidium Düsseldorf eingesetzt wurden. Die Verwendung dieser Anlagen ist aufgrund des OLG-Urteils zum 01.03.2010 gestoppt worden. Entsprechend wurde der Stopp aller laufenden Bußgeldverfahren angeordnet.
Die ebenfalls von der Polizei für Abstands- und Geschwindigkeitsmessungen verwendeten videogestützten Verfahren VKS, VIDIT und VAMA bleiben dagegen im Einsatz. Das Innenministerium stellt sich bezüglich dieser Messverfahren auf den Standpunkt, dass sie von der oben genannten Entscheidung des OLG Düsseldorf nicht betroffen seien, weil sie über eine gesetzliche Grundlage in § 100 h Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Strafprozessordnung (StPO) verfügten.
Die weiter im Einsatz befindlichen Systeme sind den ViBrAM-Anlagen vergleichbar
Die Ausklammerung der anderen videogestützten Messverfahren von dem Erlass ist nach meinem Dafürhalten inkonsequent und unzutreffend. Zwar lag dem Beschluss des OLG Düsseldorf eine Abstandsmessung mit einer ViBrAM-Anlage zugrunde, doch ist den Ausführungen des Düsseldorfer Bußgeldsenats zu entnehmen, dass ein Beweisverwertungsverbot auch für solche Systeme gelten soll, die in ihrer Arbeitsweise mit ViBrAM vergleichbar sind. Das betrifft alle Brückenmessverfahren, bei denen zunächst eine verdachtsunabhängige Videoaufzeichnung durchgeführt wird. Der Senat hat nämlich festgestellt, dass unter Berücksichtigung der Argumentation des Bundesverfassungsgerichts bereits die Primärüberwachung durch eine ständig mitlaufende Kamera gegen das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen verstoße. Auch wenn erst noch eine neben der Fahrbahn befindliche Kamera zur Aufzeichnung eingeschaltet werde, beruhe bereits die Feststellung eines Anfangsverdachts auf der Auswertung von Videoaufnahmen und nicht auf eine konkret-individuellen Überwachung durch einen Polizeibeamten.
Rechtsstaatlichen Grundsätzen anpassen
Die gegenteiligen Beschlüsse des OLG Bamberg vom 16.11.09 und des OLG Stuttgart vom 29.01.2010, die in § 100 h StPO eine ausreichende Eingriffsgrundlage erblicken, mögen eine Vorlage an den Bundesgerichtshof (BGH) erfordern. Solange diese aber nicht geschehen und entschieden ist, sollte von Seiten des Ministeriums nicht der Versuch unternommen werden, die Argumente des OLG Düsseldorf zu ignorieren und einen rechtlich ungeklärten Zustand auf Biegen und Brechen zu Lasten der Autofahrer auszulegen. Die zuständigen Stellen sollten die Größe haben anzuerkennen, dass das OLG Düsseldorf in seiner Entscheidung auch verwandten Messverfahren eine Absage erteilt hat. Der Einsatz sämtlicher Videokontrollsysteme sollte ausgesetzt werden bis eine Eingriffsgrundlage geschaffen oder erkannt worden ist, die den vom Bundesverfassungsgericht definierten rechtsstaatlichen Grundsätzen entspricht.
Christian Demuth, Düsseldorf
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