Juristisches Gerangel um Richtervorbehalt bei Blutentnahmen
Ein Sprecher der Hamburger Polizei hat nach aktuellen Medienberichten eingeräumt, dass auf den Straßen der Hansestadt die Zahl der Alkoholkontrollen seit November 2009 deutlich gesenkt wurde und auch deutlich weniger Blutproben entnommen wurden. Dies sei die direkte Folge einer Anweisung der Hamburger Innenbehörde. Hintergrund sind Vorgaben aktueller höchstrichterlicher Entscheidungen, in denen eine stärkere Achtung des gesetzlich vorgeschriebenen Richtervorbehaltes betont wird.
Der Richtervorbehalt besagt, dass eine Blutentnahme beim Verdächtigen grundsätzlich nur durch einen Richter angeordnet werden darf. Dem Polizeibeamten steht das Recht zur Anordnung der Blutentnahme nur für den Ausnahmefall der Gefahr im Verzug zu. In der Praxis wurde die Ausnahme allerdings zum Regelfall und häufig kam es nach Verkehrskontrollen zur Blutprobenentnahme, ohne dass von der Polizei überhaupt der Versuch gemacht wurde, einen Richter zu kontaktieren. Im vergangenen Jahr haben vor allem Entscheidungen der Oberlandesgerichte (OLG) Hamm, Celle und auch Dresden dazu gemahnt, den Richtervorbehalt wieder ernster zu nehmen. Eine Blutentnahme, die ohne richterliche Einwilligung und ohne Einwilligung des betroffenen Autofahrers entnommen wurde, ist mit dem Makel eines Beweiserhebungsverbotes behaftet. Wenn sich in solchen Fällen die ausnahmsweise Eilkompetenz der Beamten zur Anordnung der Blutentnahme nicht begründen ließ, haben Gerichte die Blutprobe als Beweismittel für unzulässig erklärt. Das Ergebnis war, dass dem Alkoholsünder die Fahruntüchtigkeit nicht nachgewiesen werden konnte und er straffrei davon kam.
Polizeiliche Eilkompetenz muss begründet werden
Seitdem wird von Beschuldigten und ihren Verteidigern penibel darauf geachtet, ob die Annahme der Eilkompetenz von der Polizei begründet wurde. Einen Grenzfall, der in der Rechtsprechung unterschiedlich bewertet wird, stellt dabei die häufige Situation einer nächtlichen Alkoholkontrolle dar. Es gibt in Deutschland noch erstaunlich viele Landgerichtsbezirke, in denen kein nächtlicher richterlicher Bereitschaftsdienst eingerichtet ist. Würden die Polizeibeamten, die in solchen Bezirken Alkoholkontrollen durchführen, bei jedem Verdachtsfall einer strafbaren Trunkenheitsfahrt erst bis zum nächsten Morgen mit der Entnahme der Blutprobe warten, um sich die richterliche Zustimmung einzuholen, würde wegen den fortschreitenden Alkoholabbaus ein Verlust des Beweismittels drohen – eigentlich der typische Fall der „Gefahr im Verzug“.
Im Falle einer Hausdurchsuchung hatte der 3. Strafsenat des OLG Hamm sich für ein Beweisverwertungsverbot ausgesprochen, wenn die Vollzugsbeamten wegen Nichterreichbarkeit eines Richters zur Nachtzeit ohne richterliches O.K. zur Beweissicherung in eine Wohnung eindrangen. Die einleuchtende Begründung: Es sei ein Organisationsverschulden der Justiz, wenn ein nächtlicher Eildienst fehlt. Dieser Mangel dürfe nicht zu Lasten eines Verdächtigen gehen, der das verfassungsmäßige Recht auf Unverletzlichkeit von Wohnung und Privatsphäre auf seiner Seite hat.. Im Falle der Blutprobenentnahme geht es um das Recht des Betroffenen auf körperliche Unversehrtheit, da es sich um einen körperlichen Eingriff handelt. Diesem verhältnismäßig geringfügigen körperlichen Eingriff steht das Interesse an wirksamer Strafverfolgung von Trunkenheitsfahrern gegenüber, die für die Allgemeinheit ein erhebliches Sicherheitsrisiko darstellen. So ist es nicht verwunderlich, dass zahlreiche Gericht im Zuge dieser Interessenabwägung trotz des Verfahrensmangels ein Beweisverwertungsverbot nicht bejahen und trotzdem die Strafe verhängen. Doch niemand Geringeres als das Bundesverfassungsgericht selbst hat klargemacht, dass der Vorrang des Richtervorbehaltes grundsätzlich auch im Bereich der Blutprobenentnahme eine zu respektierende Vorgabe des Gesetzes darstellt (BVerfG, Beschluss vom 28.07.2008, 2 BvR 784/08).
Problemfall nächtliche Alkoholkontrolle
Nachdem erstmalig in der obergerichtlichen Rechtsprechung der dritte Senat des OLG Hamm am 12.3.2009 die gerichtliche Verwertbarkeit einer nicht von einem Richter angeordneten Blutentnahme verneint hatte, folgte der Strafsenat des OLG Dresden in einer einer Entscheidung vom 11.5.2009. Und das OLG Celle bejahte am 16.06.2009 in einer Rechtsbeschwerdeentscheidung ein Beweisverwertungsverbot, in der es um eine Drogenfahrt ging. Zwar müssen diese Entscheidungen immer auf den Einzelfall bezogen gewertet werden, doch ist ihnen allen gemeinsam, dass der entscheidende Punkt für ein Beweisverwertungsverbot die willkürliche Umgehung des Richtervorbehaltes sein soll.
Letztlich hat die Renaissance des Richtervorbehaltes beim Thema Blutprobenentnahme zu einer derzeit recht uneinheitlichen Rechtsprechung geführt. Die Reaktion des Stadtstaats Hamburg deutet an, dass in der derzeitigen Situation der Rechtsunsicherheit eine Lösung gefunden werden muss. Auf dem Spiel steht das gewichtige Interesse der Allgemeinheit am Schutz vor Trunkenheitsfahrern, aber auch das Gebot zur Einhaltung verfahrensrechtlicher Vorgaben und damit der Anspruch der Bürger auf ein streng rechtsstaatliches Vorgehen der Justiz.
Aus meiner Sicht gibt es nur zwei Lösungswege aus dem Dilemma
Entweder wird der Gesetzgeber aktiv und ändert die Strafprozessordnung so ab, dass in Bezug auf die Anordnung von Blutentnahmen bei Verdacht auf Rauschmittelfahrt, der Richtervorbehalt zugunsten einer originären Anordnungskompetenz der ermittelnden Polizeibeamten aufgegeben wird, oder die Bundesländer stellen ausnahmslos sicher, dass trotz des chronischen Personalmangels in der Justiz ein richterlicher Bereitschaftsdienst in jedem Landgerichtsbezirk an 365 Tagen im Jahr 24 Stunden zur Verfügung steht.
Diese Meinung habe ich unter anderem in der Sendung RTL-Nachtjournal vom 20.01.2010 dargelegt, wo sich ein Beitrag mit dem Hamburger Verhalten und den Konsequenzen beschäftigt hat. Betroffenen kann derzeit nur geraten werden, einer Blutprobenentnahme vor Ort nicht zuzustimmen und in der Ermittlungsakte zu überprüfen, dass der Richtervorbehalt von der Polizei nicht willkürlich umgangen wurde. Einen Freifahrtschein für Promillesünder bedeutet dies bei aller Rechtsunsicherheit allerdings nicht.
Christian Demuth, Rechtsanwalt im Bereich Verkehrsrecht, Düsseldorf: "Entweder erlaubt der Gesetzgeber der Polizei die Anordnung von Blutentnahmen oder die Bundesländer stellen einen richterlichen Bereitschaftsdienst sicher."
Christian Demuth, Düsseldorf
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