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Promillefahrt - Unverwertbarkeit einer von der Polizei angeordneten Blutprobe

Das Bundesverfassungsgericht hat in einer Entscheidung von 2007 an den gesetzlichen und natürlich auch im Verkehrsrecht geltenden Grundsatz erinnert, dass die Entnahme einer Blutprobe grundsätzlich von einem Richter angeordnet werden muss. Nur bei „Gefahr im Verzug“ ist die Staatsanwaltschaft oder die Polizei zur Vornahme dieser strafprozessualen Maßnahme berechtigt. Seither hat es eine kaum zu überblickende Rechtsprechung zu diesem Thema gegeben, aus der sich aber zumindest eine grobe Linie für das Vorgehen bei der Prüfung der Erfolgsaussichten der Geltendmachung eines Beweisverwertungsverbotes durch den Rechtsanwalt - nur durch Widerspruch gegen Verlesung und Verwertung möglich! - ableiten lässt. Fest steht: Mit einem Beweisverwertungsverbot tun sich die Obergerichte schwer.

Zunächst muss gefragt werden, ob im konkreten Fall ein Beweiserhebungsverbot vorgelegen hat. Hierbei ist die Frage nach dem Bestehen der "Gefahr im Verzug", also die Gefährdung des Untersuchungserfolgs durch Verzögerung der Maßnahme, von zentraler Bedeutung. Nur wenn ein Beweiserhebungsverbot bejaht wird, schließt sich die Frage an, ob auch ein Beweisverwertungsverbot zu erwarten ist. Bei der zweiten Frage, der Frage nach dem Verwertungsverbot der erlangten Blutprobe, kommt es entscheidend auf die objektiven Umständen an, anhand derer von den Ermittlungsbehörden "Gefahr im Verzug" angenommen worden ist. Allein die fehlende Dokumentation dieser Umstände führt jedenfalls noch nicht zu einem Beweisverwertungsverbot. Die überwiegende obergerichtliche Rechtsprechung lässt mit Hinweis auf die knappen Ressourcen der Justiz die Verwertbarkeit auch nicht an der fehlenden Einrichtung eines richterlichen Eildienstes scheitern.

Grundsätzlich muss eine Blutprobe vom Richter angeordnet werden

Einige Obergerichte gehen sogar davon aus, dass bei einer Trunkenheitsfahrt immer "Gefahr im Verzug" vorliege, weil mit jeder Verzögerung der Alkoholabbau die Gefahr eines Beweismittelverlustes mit sich bringe. Diese Meinung ist wegen der bestehenden Rückrechnungsmöglichkeit jedoch nicht haltbar. Anders ist die Situation aber zu beurteilen, wenn der betroffene Fahrer einen Nachtrunk behauptet hat. Auf "Gefahr im Verzug" sollen sich die Beamten der Polizei auch nicht berufen können, wenn sie selbst eine ohne richterlichen Beschluss durchgeführte Blutentnahme verzögert haben weil sie zunächst Dinge erledigt haben, die eigentlich aufschiebbar gewesen wären, zum Beispiel die Durchsuchung des PKW des Betroffenen. Ein Beweiserhebungsverbot kommt insbesondere schon dann nicht in Betracht, wenn der Betroffene sich mit der Blutentnahme einverstanden erklärt hat. Dann ist eine richterliche Anordnung völlig entbehrlich. Allerdings kann verlangt werden, dass er zuvor über sein Weigerungsrecht belehrt wird - und zwar so, dass dieses Weigerungsrecht nicht als bloße Formalie dargestellt wird. Überdies muss der Betroffene auch geistig die Einwilligungsfähigkeit besessen haben, was bei sehr hohen Alkoholkonzentrationen fraglich sein kann. Auch wenn sich der Betroffene vor Einholung einer richterliche Anordnung zur Blutentnahme entfernen will und andere Festhaltegründe der Polizei nicht zur Verfügung stehen soll dies "Gefahr im Verzug" und damit die Anordnungskompetenz der Polizei begründen.

Wenn die Rechtsprechung trotz einer zu Unrecht von Polizei oder Staatsanwalt - ein Rangverhältnis soll dabei nicht entscheidend sein - angeordneten Blutentnahme ein Beweisverwertungsverbot ablehnt, tut sie dies häufig mit dem Hinweis auf die relative Geringfügigkeit des Eingriffs in die körperliche Unversehrtheit und darauf, dass es sich bei dem in § 81a Abs.2 Strafprozessordnung (StPO) normierten Richtervorbehalt "lediglich" um einen einfachgesetzlichen Vorbehalt handle und die Polizeibediensteten nicht willkürlich gehandelt hätten.

So wurde ein Beweisverwertungsverbot in folgenden Fällen bejaht:

Die Blutentnahme erfolgte tagsüber und die Polizeibeamten hatten den Verzicht auf die richterlichen Anordnung lapidar mit der "gängigen Praxis" begründet;

Die Polizeibeamten hatten die Blutentnahme ohne richterliche Anordnung nur mit einer "langjährigen Praxis" gerechtfertigt;

Obwohl ein richterlicher Eildienst erreichbar gewesen wäre, hatte die Polizei es wegen der gängigen Praxis gar nicht in Erwägung gezogen dort anzurufen;

Der Beamte hatte vor einer Blutentnahme an einem Samstag um 10.00 Uhr zunächst 100 Minuten gewartet und sich auf eine gängige Übung seiner Dienststelle berufen;

Obwohl eine richterliche Anordnung innerhalb von 45 Minuten zu erlangen gewesen wäre, machten die Beamten nicht einmal den Versuch eine solche zu erlangen, was wiederum mit einer langjährigen Übung begründet wurde;

Die Polizei hat die Nichteinholung einer richterlichen Anordnung mit einer generellen Anordnung einer übergeordneten Behörde begründet.

Umgehung des Richtervorbehalts durch "Gefahr im Verzug"

Es zeigt sich somit, dass vor allem in Fällen objektiver Willkür oder gezielter Umgehung des Richtervorbehalts einer Beweisverwertung mit Erfolgsaussicht widersprochen werden kann. In allen anderen Fällen dürfte diese Strategie einem Betroffenen, der vor allem darauf bedacht ist, möglichst bald wieder in den Besitz seiner Fahrerlaubnis zu kommen, eher nicht gerecht werden.

Zu beachten ist ferner die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung, wonach die Fahrerlaubnisbehörde an der Verwertung eines gegebebebfalls unter Verstoß gegen den Richtervorbehalt gewonnenen Ergebnisses einer Blutprobe keinesfalls gehindert ist. Die Führerscheinbehörde kann sich im höherrangigen Interesse der allgemeinen Verkehrssicherheit auch auf rechtswidrig erlangte Promillewerte stützen und damit auch gegen den von der Strafjustiz nicht belangten Verkehrsteilnehmer ein verwaltungsrechtliches Entziehungsverfahren durchführen.

Aktuelle Anmerkung:

Der Bundesrat hat am 05. November 2010 eine Gesetzesinitiative zur Abschaffung des Richtervorbehalts eingebracht. Dies steht im Gegensatz zu aktuellen Entscheidungen des Bundesverfassungsgericht aus den Jahren 2007 und 2008, mit denen das oberste Gericht den Richtervorbehalt bei Blutentnahmen gestärkt hat. Nun bleibt abzuwarten, ob Bundesregierung und Bundestag den Vorschlag der Länderkammer umsetzen. Es wird sich dann einmal mehr zeigen, wie ernst unsere Gesetzgebungsorgane die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts nehmen und was man dort für ranghöher hält: Kostenersparnis oder die Wahrung grundrechtlicher Prinzipen. Denn auf der anderen Seite könnte die Sicherstellung eines flächendeckenden richterlichen Eildienstes für die Nachtstunden und an Wochenenden die ausgemachte Rechtsunsicherheit beseitigen. Eine solche Forderung aber ist unbequem und teuer. Dennoch: Grundrechte gelten auch für Alkoholsünder im Straßenverkehr.
 

Christian Demuth, Düsseldorf, als Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht im Bereich Verkehrsrecht tätig: "Es wird sich zeigen, wie ernst der Gesetzgeber die Vorgaben des Verfassungsgerichts nimmt und was man für ranghöher hält: Kostenersparnis oder die Wahrung grundrechtlicher Prinzipen."

Ihr Experte für Fragen zum Verkehrsrecht, Bußgeldrecht und Verkehrs­strafrecht

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