Skip to main content

Verkehrsrecht im Fokus: Die entscheidenden Ergebnisse des 63. Deutschen Verkehrsgerichtstags

Unter anderem hat sich der Verkehrsgerichtstag 2025 mit der Frage beschäftigt, ob Fußgänger im Straßenverkehr Opfer oder Täter sind. Foto: Nk Ni auf Unsplash

Der 63. Deutsche Verkehrsgerichtstag (29. bis 31. Januar 2025) hat erneut zentrale Fragestellungen rund um das Verkehrsrecht in den Fokus gerückt. In verschiedenen Arbeitskreisen wurden brisante Themen wie Cannabis-Missbrauch im Straßenverkehr und die Vorbereitung auf die Medizinisch-Psychologische Untersuchung (MPU) eingehend analysiert. Darüber hinaus standen die „sieben Todsünden“ des § 315c StGB sowie die Rolle von Fußgängern im Verkehrsgeschehen zur Diskussion. Die Erkenntnisse aus diesen Sitzungen bieten wertvolle Einblicke in aktuelle Herausforderungen und Entwicklungen im deutschen Verkehrsrecht. Die Empfehlungen dienen häufig als Anregung für den Gesetzgeber. Wir stellen hier die Empfehlungen der für das Verkehrsstrafrecht und das Bußgeldrecht relevanten Arbeitskreise vor.

Ergebnisse Arbeitskreis I: Cannabis-Missbrauch im Straßenverkehr

Nulltoleranz und gesetzliche Anpassungen

Der Arbeitskreis I des Deutschen Verkehrsgerichtstages empfiehlt eine Nulltoleranz für den Mischkonsum von Cannabis, einschließlich Medizinalcannabis, und Alkohol im Straßenverkehr. Dies soll analog zu den Regelungen für Fahranfänger im Straßenverkehrsgesetz eingeführt werden. Zudem wird vorgeschlagen, den Mischkonsum aufgrund seiner unvorhersehbaren Gefahren in die Anlage 4 der Fahrerlaubnisverordnung aufzunehmen.

Anpassung der wissenschaftlichen Standards.

Eine zügige Anpassung der Begutachtungsleitlinien wird gefordert, um den Freizeitkonsum von Cannabis unter Berücksichtigung aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse adäquat abzubilden. Ersttäter werden vom Arbeitskreis als Cannabismissbraucher eingestuft, wenn zusätzliche Tatsachen darauf hindeuten, dass sie zukünftig Konsum und Fahren nicht trennen können. Der Gesetzgeber ist gefordert, diese zusätzlichen Tatsachen zu definieren. Diese können unter anderem aus dem Konsummuster, vorausgegangenen Taten oder den Umständen der Tat resultieren.

Technische und aufklärerische Maßnahmen

Es wird auf die Dringlichkeit hingewiesen, verdachtsausschließende Vortestmöglichkeiten für die verschiedenen Grenzwerte zu entwickeln. Das Vorhaben des Gesetzgebers, bei Gefahrguttransporten THC-Nüchternheit festzulegen, wird ausdrücklich begrüßt. Schließlich betont der Arbeitskreis die Notwendigkeit, Aufklärungsmaßnahmen über die Risiken des Cannabiskonsums im Verkehr sowie die geltende Rechtslage entscheidend zu intensivieren.

Ergebnisse Arbeitskreis II: MPU-Vorbereitung unter der Lupe

Bedeutung der MPU-Vorbereitung

Der Arbeitskreis II ist der Ansicht, dass eine fundierte Vorbereitung auf die medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU) einen wesentlichen Beitrag zur Erhöhung der Verkehrssicherheit leistet. Ziel dieser Vorbereitung ist es, frühzeitig die Ursachen für vergangenes Fehlverhalten zu identifizieren und eine dauerhafte Einstellungs- und Verhaltensänderung zu fördern.

Informationspflicht der Fahrerlaubnisbehörden

Um dies zu gewährleisten, sollten Fahrerlaubnisbehörden Betroffene so schnell wie möglich über die rechtlichen Konsequenzen, wie die MPU, informieren – entgegen der aktuellen Praxis. Diese Information sollte in verständlicher Sprache erfolgen, beispielsweise nach dem Vorbild des Infoblatts der Projektgruppe MPU-Reform. Der Arbeitskreis stellt fest, dass bereits ausreichend Mitteilungspflichten in bestehenden Vorschriften, wie in § 2 Abs. 12 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) und Nr. 45 Abs. 1 und 2 der Anordnung über Mitteilungen in Strafsachen (MiStra), verankert sind. Von diesen Regelungen sollte sofort Gebrauch gemacht werden.

Positivlisten für Anbietende

Dem Arbeitskreis erscheint es als sinnvoll, Anbieter von MPU-Vorbereitungsmaßnahmen, die die Kriterien für fahreignungsfördernde Interventionen erfüllen, auf Positivlisten zu führen. Die Fahrerlaubnisbehörden sollten ermächtigt werden, diese Listen zur Verfügung zu stellen.

Bekämpfung von Manipulationen

Der Arbeitskreis beobachtet mit Besorgnis, dass Manipulationsversuche und Straftaten im Fahrerlaubnisverfahren zunehmen. Täuschungen und Fälschungen müssen unter Einbeziehung der genannten Mitteilungspflichten angezeigt und strafrechtlich verfolgt werden. Zur besseren Nachvollziehbarkeit der MPU-Gutachten sollten die im Rahmen der Untersuchung vorgelegten Nachweise über Abstinenz und MPU-Vorbereitung als Teil des Gutachtens betrachtet und diesem als Anlage beigefügt werden. Dies dient auch der Fälschungssicherheit. Der Arbeitskreis empfiehlt, unter Einhaltung des Datenschutzes die technischen Möglichkeiten zur Verifizierung von Gutachten auszuschöpfen.

Ergebnisse Arbeitskreis IV: Die „sieben Todsünden“ des § 315c StGB auf dem Prüfstand

§ 315c StGB behandelt die Gefährdung des Straßenverkehrs. Dieser Paragraf bezieht sich auf Fahrlässigkeit oder rücksichtsloses Verhalten beim Führen eines Fahrzeugs, das zu einer Gefährdung anderer Menschen oder Sachen von bedeutendem Wert führen kann. Dazu zählen unter anderem das Fahren unter Alkohol- oder Drogeneinfluss. Zudem gibt es eine Liste mit grob verkehrswidrigen und rücksichtslosen Taten. Hierunter fällt, wer
a) die Vorfahrt nicht beachtet,
b) falsch überholt oder sonst bei Überholvorgängen falsch fährt,
c) an Fußgängerüberwegen falsch fährt,
d) an unübersichtlichen Stellen, an Straßenkreuzungen, Straßeneinmündungen oder Bahnübergängen zu schnell fährt,
e) an unübersichtlichen Stellen nicht die rechte Seite der Fahrbahn einhält,
f) auf Autobahnen oder Kraftfahrstraßen wendet, rückwärts oder entgegen der Fahrtrichtung fährt oder dies versucht oder
g) haltende oder liegengebliebene Fahrzeuge nicht auf ausreichende Entfernung kenntlich macht, obwohl das zur Sicherung des Verkehrs erforderlich ist.

Aktuelle Relevanz der Vorschriften

Der Arbeitskreis IV hat die Relevanz der im § 315c Absatz 1 Nummer 2 des Strafgesetzbuches genannten Verkehrsverstöße, oft als die „sieben Todsünden“ bezeichnet, untersucht. Diese Verhaltensweisen gelten als gefährlich und unfallträchtig, spiegeln jedoch nicht mehr vollständig die heutigen Risiken im Straßenverkehr wider. Um verkehrsgefährdendem Verhalten präventiv entgegenzutreten, wurden eine stärkere Förderung der Präventionsarbeit und eine verbesserte Kontrolldichte vorgeschlagen.

Empfehlungen zur Gesetzesänderung

Der Arbeitskreis empfiehlt, die Vorschriften zu modifizieren, um weitere moderne Gefährdungen zu berücksichtigen. Besonders in den Blick genommen werden sollten:

  • Fehlverhalten an Ampel-geführten Fußgängerwegen, da sie ein ähnliches Gefährdungspotenzial wie Zebrastreifen aufweisen.
  • Missachtung des Vorrangs von Fußgängern beim Abbiegen.
  • Falschfahren in Bereichen besonderer Gefahrenzonen wie Baustellen oder Unfallstellen.
  • Nutzung von elektronischen Geräten zur Kommunikation oder Information während der Fahrt.

Aktuell ist auch das Nichtkenntlichmachen haltender oder liegengebliebener Fahrzeuge in weiter Entfernung strafbar, obwohl dies laut Unfallstatistik kein besonders unfallträchtiges Verhalten darstellt. Eine Streichung dieser Regelung wird empfohlen.

Ergebnisse Arbeitskreis VI: Fußgänger im Straßenverkehr – Opfer oder Täter?

Gleichberechtigung und Stärkung des Fußverkehrs

Fußgänger sind ein fester Bestandteil des Straßenverkehrs, und ihre Rolle ist sowohl komplex als auch entscheidend. Um die Sicherheit der Fußgänger zu erhöhen, wird gefordert, den Fußverkehr als gleichwertige Verkehrsart anzuerkennen und seine Attraktivität zu steigern. Wichtige Maßnahmen beinhalten die Bereitstellung ausreichender Flächen für Fußgänger sowie den Bau durchgängiger und barrierefreier Fußwegenetze. Der Fokus liegt hierbei auf der Schaffung eines sicheren und leicht verständlichen Verkehrsraums.

Infrastruktur und Verkehrsregeln

Die Anzahl der Unfälle mit Fußgängern muss im Sinne der "Vision Zero" deutlich reduziert werden. Um dieses Ziel zu erreichen, verlangt der Arbeitskreis VI die Errichtung sicherer Übergänge an bedarfsstarken Stellen und das Verbot des Parkens in Sichtfeldern und an Querungsstellen. Ebenso wird empfohlen, Fuß- und Radwege, insbesondere innerorts, voneinander zu trennen. Ergänzend dazu dürfen Fußgängerzonen nach Möglichkeit nicht für andere Verkehrsteilnehmer freigegeben werden. Des Weiteren sind längere Querungszeiten und konfliktfreie Ampelschaltungen durch getrennte Grünphasen für Fußgänger und Abbiegeverkehr unabdingbar.

Technologie, Kontrolle und Bildung

In der technologischen Entwicklung spielen Assistenz- und Schutzsysteme in Fahrzeugen eine entscheidende Rolle. Diese Systeme sollen die Erkennung von Fußgängern und automatisches Bremsen ermöglichen und verpflichtend eingeführt werden. Darüber hinaus soll die Kontrolldichte verstärkt und das Sanktionsniveau erhöht werden, um Regelverstöße konsequent zu ahnden. Der Gesetzgeber wird aufgefordert, den Vorrang des Fußverkehrs in der Straßenverkehrsordnung deutlicher zu verankern. Schließlich sind Kampagnen zur Stärkung des Regelbewusstseins aller Verkehrsteilnehmer zu fördern.

Arbeitskreis VII: Fahrtüchtigkeitstest der Polizei

Bedeutung der Fahrtüchtigkeitstests

Der Arbeitskreis betont die Wichtigkeit polizeilicher Fahrtüchtigkeitstests als wertvolles Instrument zur besseren Erkennung von Fahrunsicherheiten bei Fahrzeugführern. Diese Tests können entscheidend zur Aufrechterhaltung der Verkehrssicherheit beitragen.

Schulung und Standarderhaltung

Es wird empfohlen, sicherzustellen, dass Polizeibeamte in der Anwendung von Fahrtüchtigkeitstests umfassend geschult werden. Hierbei sollten Fachärzte mit verkehrsmedizinischer Zusatzqualifikation, Toxikologen, Verkehrspsychologen und Juristen eingebunden werden. Die Erhaltung der erworbenen Qualitätsstandards hat hohe Priorität. Daher fordert der Arbeitskreis eine jährliche Fortbildung der Polizeibeamten sowie eine regelmäßige Überprüfung ihres Wissensstandes.

Optimierung und Anwendung

Die angewandten Testverfahren sollten einer wissenschaftlichen Überprüfung unterzogen werden, um ihre Aussagekraft hinsichtlich der Fahrunsicherheit zu verbessern und von der generellen Beurteilung der Fahreignung abzukoppeln. Eine einheitliche Anwendung und Dokumentation der Fahrtüchtigkeitstests soll gewährleistet werden. Darüber hinaus sollten Staatsanwaltschaften, Gerichte und Fahrerlaubnisbehörden mit der Anwendung der Fahrtüchtigkeitstests durch die Polizei vertraut gemacht werden.

Freiwilligkeit und rechtliche Bedenken

Der Arbeitskreis stellt klar, dass Fahrtüchtigkeitstests nicht ohne konkreten Anlass durchgeführt werden sollten und betont die Notwendigkeit, Fahrzeugführer klar über die Freiwilligkeit ihrer Teilnahme zu informieren. Die Sicherstellung des Führerscheins seitens der Polizei ohne vorliegenden Straftatverdacht wird kritisch gesehen.

Christian Demuth, Düsseldorf
Rechtsanwalt l Fachanwalt für Strafrecht
Verkehrsrecht l Verkehrsstrafrecht l Bußgeldrecht