Wann gilt ein EU-Führerschein?
Das Verwaltungsgericht (VG) Düsseldorf nimmt dazu in einem Beschluss vom 20.04.2010 eindeutig Stellung (Az: 6 L 328/10): Die Bundesrepublik Deutschland ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) grundsätzlich verpflichtet, eine von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellte Fahrerlaubnis anzuerkennen. Der EuGH hat in seinem Urteil vom 26. Juni 2008 ausgeführt: Es ist Aufgabe des Ausstellermitgliedstaates, zu prüfen, ob die im Gemeinschaftsrecht aufgestellten Mindestvoraussetzungen, insbesondere diejenigen hinsichtlich des Wohnsitzes und der Fahreignung, erfüllt sind und ob somit die Erteilung - gegebenenfalls die Neuerteilung - einer Fahrerlaubnis gerechtfertigt ist.
Grundsätzlich muss ein Führerschein aus einem anderen EU-Staat anerkannt werden
Wenn die Behörden eines Mitgliedsstaates einen Führerschein gemäß Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 91/439 ausgestellt haben, sind die anderen Mitgliedsstaaten somit nicht befugt, die Beachtung der in dieser Richtlinie aufgestellten Ausstellungsvoraussetzungen nachzuprüfen (vgl. in diesem Sinne Beschlüsse Halbritter und Kremer). Der Besitz eines von einem Mitgliedsstaat der EU ausgestellten Führerscheins ist nämlich als Nachweis dafür anzusehen, dass der Inhaber dieses Führerscheins am Tag der Erteilung diese Voraussetzungen erfüllte (vgl. in diesem Sinne Urteil Kommission/Niederlande, Beschl. vom 11. Dezember 2003; Da Silva Carvalho, C-408/02, Randnr. 21; Urteil Kapper, Randnr. 46). Der Umstand, dass ein Mitgliedstaat gemäß Nr. 5 des Anhangs III der Richtlinie für jede Erteilung eines Führerscheins eine strengere ärztliche Untersuchung als die in diesem Antrag beschriebenen vorschreiben kann, berührt daher nicht die Verpflichtung dieses Mitgliedstaats, die Führerscheine anzuerkennen, die die anderen Mitgliedsstaaten entsprechend der Richtlinie ausgestellt haben (vgl. EUGH, Urteil vom 26. Juni 2008 - Rechtssache C-329/06 (Wiedemann) und C-343/06 - (Funk), Randnrn. 52 und 53).
Nach diesen Maßstäben hat die Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich einen von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein ohne Prüfung anzuerkennen. Nur für bestimmte Fallkonstellationen hat der Europäische Gerichtshof Ausnahmen von dem Prinzip der unbedingten Anerkennung von Führerscheinen nach der Führerscheinrichtlinie 91/439/EWG zugelassen.
Ausnahmen vom Prinzip der unbedingten Anerkennung
Ein Mitgliedsstaat kann die Anerkennung eines Führerscheins verweigern, wenn er auf eine Person eine Maßnahme des Entzugs der Fahrerlaubnis zusammen mit einer Sperrfrist für die Neuerteilung angewendet hat und die Sperrfrist noch nicht abgelaufen ist (vgl. EuGH, Urteile vom 28. September 2006 - C340/05 (Kremer), Randnrn 29, 30 und vom 26. Juni 2008, Randnr. 65).
Des Weiteren erlaubt Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG es dem Mitgliedsstaat des ordentlichen Wohnsitzes, die neue Fahrerlaubnis vorbehaltlich der Einhaltung des straf- und polizeirechtlichen Territorialitätsprinzips einzuschränken, auszusetzen, zu entziehen oder aufzuheben, wenn das Verhalten des Inhabers der Erlaubnis nach deren Erteilung dies nach dem innerstaatlichen Recht des Aufnahmestaates rechtfertigt (Vgl. EuGH, Urteil vom 28. September 2006 - C- 340/05 - (Halbritter), Randnr. 35 und Urteil vom 26. Juni 2008, Randnrn. 66).
Neben diesen beiden Ausnahmen hat der Europäische Gerichtshof eine dritte Ausnahme von dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der von den Mitgliedsstaaten ausgestellten Führerscheine ohne jede Formalität zugelassen, und zwar für den Fall, das „auf der Grundlage von Angaben in diesem Führerschein oder anderen vom Ausstellermitgliedsstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen feststeht, dass zum Zeitpunkt der Ausstellung dieses Führerscheins sein Inhaber, auf den im Hoheitsgebiet des ersten Mitgliedstaates“ - vorliegend die Bundesrepublik Deutschland - „eine Maßnahme des Entzugs einer früheren Fahrerlaubnis angewendet worden ist, seinen ordentlichen Wohnsitz nicht im Hoheitsgebiet des Ausstellermitgliedsstaat hatte.“
Liegen solche Informationen aber nicht vor, kann nicht allein aus dem Umstand, dass die Behörden des Ausstellermitgliedsstaates auf Nachfrage keine Informationen geben, geschlossen werden, dass das Wohnortprinzip verletzt worden ist.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können die Meldebehörden des Austellermitgliedstaates um Auskunft ersucht werden, ob der Antragssteller bei der Erteilung der ausländischen Fahrerlaubnis seinen ordentlichen Wohnsitz im Sinne des Artikel 9 der Führerscheinrichtlinie 91/439/EWG im Ausstellermitgliedstaat hatte - sic!
Eigene Anmerkung
Durch die zum 19.01.2009 wirksam gewordenen Bestimmungen der Richtlinie 2006/12/EG (3. Führerscheinrichtlinie) wurde der Wortlaut des Art. 11 Abs. 4 der 3. Führerscheinrichtlinie im Vergleich zur Vorgängerregelung (Art. 8 Abs. 4 Richtlinie 91/439/EWG) geändert. Ziel der Gesetzesnovelle war es, vor dem Hintergrund der durch die „Kapper“-Entscheidung eingeleiteten Rechtsprechung des EuGH zur gegenseitigen Anerkennung von Fahrerlaubnissen, die in anderen Mitgliedsstaaten erteilt worden wurden, dem Führerscheintourismus entgegenzuwirken und die Prüfungsmöglichkeiten der nationalen Verkehrsbehörden hinsichtlich der Rechtsmäßigkeit der Erteilung ausländischer EU-Fahrerlaubnisse zu erweitern.
Nach Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126/EG lehnt ein Mitgliedsstaat (zwingend) die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins ab, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt wurde, deren Führerschein im Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedsstaats eingeschränkt, ausgesetzt oder entzogen worden ist. Die Anwendbarkeit des Art. 11 Abs. 4 der 3. Führerscheinrichtlinie wird auch nicht durch deren Art. 13 Abs. 2 ausgeschlossen, wonach eine vor dem 19.1.2013 erteilte Fahrerlaubnis aufgrund der Bestimmungen dieser Richtlinie weder entzogen noch in irgendeiner Weise eingeschränkt werden darf. Dies ergibt sich aus der Gesetzessystematik, wonach Art. 13 Abs. 2 ersichtlich gewährleisten will, dass die vor dem 19.1.2013 von den Mitgliedsstaaten mit einer längeren Gültigkeitsdauer als fünf beziehungsweise 15 Jahre ausgestellten Führerscheine nicht auf diese - nach dem 19.1.2013 für alle neuen Fahrerlaubnisse verbindlichen Gültigkeitsdauer - zeitlich beschränkt oder wegen ihrer Überschreitung entzogen werden.
Die oben zitierte Entscheidung passt daher ohne Einschränkung nur auf die Fälle einer ausländischen EU-Fahrerlaubnis, die vor dem Stichtag 19.01.2009 ausgestellt wurde (Altfälle).
Allerdings wird derzeit noch kontrovers diskutiert, inwieweit die Änderungsverordnung, insbesondere in der Auslegung, die sie durch die deutschen Verwaltungsgerichte erhalten hat, europarechtskonform ist. Erst durch aktuelle Judikatur des EuGH wird hier Klarstellung zu erwarten sein.
Christian Demuth, Düsseldorf, als Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht im Bereich Verkehrsrecht tätig: "Die oben zitierte Entscheidung passt daher ohne Einschränkung nur auf die Fälle einer ausländischen EU-Fahrerlaubnis, die vor dem Stichtag 19.01.2009 ausgestellt wurde."
Christian Demuth, Düsseldorf
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