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Mit 417 km/h über die Autobahn. Ein Fall für das Strafrecht?

Wer ein Fahrzeug führt, darf nur so schnell fahren, dass er es ständig beherrscht. Foto: Imaginis - stock.adobe.com
Eine Fallanalyse und -bewertung von Rechtanwalt Christian Demuth
 
Die Reaktionen reichen von totalem Entzücken bis zu blankem Entsetzen: Aus der Cockpitperspektive eines Bugatti-Chiron können die Zuschauer eines YouTube-Videos Ende Januar 2022 erleben, wie auf einer deutschen Autobahn die Geschwindigkeitsmarke von 400 km/h mühelos fällt. Erst bei 417 km/h geht der Fahrer, ein tschechischer Geschäftsmann im Rennanzug, wieder vom Gas des 1500 PS starke Boliden und freut sich mit seinem Beifahrer über das erreichte Tempo.
 
Der Streckenabschnitt war mit Bedacht gewählt worden. Eine Geschwindigkeitsbegrenzung existierte dort nicht.  Nun berichten die Medien allerdings, die Staatsanwaltschaft Stendal habe Ermittlungen aufgenommen. Diese beziehen sich auf die Strafvorschrift des § 315 d Abs. 1 Nr. 3 des Strafgesetzbuch (StGB), das illegale Kraftfahrzeugrennen in der Variante des sog. „Alleinrennens“.
 
Dieser Paragraf besagt, dass mit Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe zu bestrafen ist, „wer im Straßenverkehr ... sich als Kraftfahrzeugführer mit nicht angepasster Geschwindigkeit und grob und verkehrswidrig und rücksichtslos fortbewegt um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erzielen". Unter diesen Voraussetzungen soll sich nach dem Gesetz also auch jemand strafbar machen können, obwohl er kein Rennen gegen andere gefahren hat, sondern als Einzelraser quasi gegen sich selbst. 
 
Zweifellos ist eine mehr als dreifache Überschreitung der Autobahn-Richtgeschwindigkeit von 130 km/h ein potentiell riskantes Manöver, von dem eine zumindest abstrakte Gefahr ausgeht. Und anscheinend hatte der Fahrer, wie sich auf dem Video zeigt, auch vor, die maximal höchstmögliche Geschwindigkeit seines Wagens herauszuholen.  
 
Das macht das Fahrverhalten aber nicht automatisch strafbar. Denn der Straftatbestand enthält viele einzelne Merkmale (nicht angepasste Geschwindigkeit, grob verkehrswidrig und rücksichtslos, Absicht höchstmöglicher Geschwindigkeit). Und ob die allesamt erfüllt sind, ist anhand der konkreten Umstände im jeweiligen Einzelfall genau zu prüfen.
 
Das Fahren mit „nicht angepasster Geschwindigkeit“ ist nicht per se grob verkehrswidrig und rücksichtslos, sondern nur eine Ordnungswidrigkeit. Der Begriff entstammt originär § 3 Abs. 1 S. 2 StVO, wonach die Geschwindigkeit insbesondere den Straßen-, Verkehrs-, Sicht und Wetterverhältnissen sowie den persönlichen Fähigkeiten und den Eigenschaften von Fahrzeug und Ladung anzupassen ist. 

Entscheidend sind die konkreten Umstände der Fahrt 

Um strafwürdig zu sein, müssen weitere Faktoren hinzukommen, die eine Steigerung des Unrechts bis zur Strafwürdigkeit erkennen lassen. Bis man zur Strafwürdigkeit gelangt, sind weitere Hürden zu nehmen, nämlich die „grobe Verkehrswidrigkeit“ und die „Rücksichtslosigkeit“ des Fahrverhaltens. Der Tatbestand verlangt hier eine besonders schwerwiegend erscheinende Missachtung der angemessenen Geschwindigkeit, die angesichts der konkreten Umstände vollkommen unangemessen ist. Es ist also ein genauer Blick auf die konkreten Umstände und Gegebenheiten der Fahrt erforderlich.    
 
Und danach erscheint es wirklich fraglich, ob sich der Bugatti-Fahrer tatsächlich strafbar gemacht hat. 
 
Denn Ort des Geschehens ist ein zehn Kilometer langer, schnurrgerader Autobahnabschnitt auf der Autobahn 2 bei Wittenberg. Es ist hell, die Fahrbahn trocken und Sonntagmorgens gegen 5 Uhr sind nur ganz vereinzelt Fahrzeuge auf dem äußeren, rechten von drei Fahrstreifen des schnurrgeraden Autobahnabschnitts zu sehen. Aus dem Video geht hervor, dass der Fahrer mit seinem Team den Streckenabschnitt wegen dieser Bedingungen extra ausgesucht und die Fahrt minutiös vorbereitet hatte. Der erfahrene Fahrer beherrscht den für die extreme Geschwindigkeit ausgelegten Sportwagen, pilotiert ihn ruhig und gleichmäßig auf dem linken äußeren Fahrstreifen über die freie Bahn.  Es gibt keine begleitenden, anderweitigen Verkehrsverstöße, die in einem inneren Zusammenhang mit der massiven Geschwindigkeit stehen.
 
Es wäre ungerechtfertigt, dem Fahrer hier zu unterstellen, er habe Unfälle und den Tod des Mitfahrers in Kauf genommen. Hier gilt der im Strafrecht immer anzuwendende Grundsatz „Im Zweifel für den Beschuldigten“.   

Rechtsstaatliche Bedenken

Beim „Raser-Paragrafen“ § 315 d Abs. 1 Nr. 3 StGB handelt es sich überdies mangels Bestimmtheit um eine potentiell verfassungswidrige Norm. Das Bestimmtheitsgebot aus Art. 103 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG) verpflichtet den Gesetzgeber zu einer möglichst genauen Umschreibung der Strafbarkeit, damit jeder Einzelne von vorneherein wissen kann, was strafrechtlich verboten ist und wann ihn eine Kriminalstrafe erwartet. Wie aber soll jemand, der auf einem nicht beschränkten Autobahnabschnitt mit deutlich mehr als der Richtgeschwindigkeit 130 bei mäßigem Verkehrsaufkommen unterwegs ist, wissen, ab welcher Geschwindigkeit genau er sich durch ein „Alleinrennen“(!) strafbar macht? 

Mein Fazit: 

Wer ein Fahrzeug führt, darf nur so schnell fahren, dass er es ständig beherrscht. Davon kann mit 400 km/h zwar nicht die Rede sein. Da auf dem Autobahnabschnitt jedoch kein Tempolimit galt und andere Verkehrsteilnehmer nicht gefährdet wurden, hat sich der Bugatti-Fahrer im konkreten Fall nicht strafbar gemacht. Der Vorwurf des sog. Alleinrennens im Sinne von Paragraf 315 d Abs. 1 Nr. 3 StGB taugt nicht als Allzweckwaffe gegen Schnellfahrer. Wann die Fahrweise unangepasst und grob verkehrswidrig und rücksichtslos war, kann nämlich in vielen Fällen nicht mit der für das Strafverfahren erforderlichen Sicherheit festgestellt werden.
 
Christian Demuth, Düsseldorf
Rechtsanwalt l Fachanwalt für Strafrecht
Verkehrsrecht l Verkehrsstrafrecht l Bußgeldrecht
 

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