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Verfassungsgerichtshof stärkt Einsichtsrechte in standardisierte Geschwindigkeitsmessungen

Messgerät auf einem Anhänger. Foto: iStock.com/Felix Geringswald

Der Verfassungsgerichtshof (VerfGH) Rheinland-Pfalz hat die Rechte von Betroffenen bei standardisierten Geschwindigkeitsmessungen gestärkt. Er bekräftigt das umfassende Akteneinsichtsrecht – von statistischen Messreihen über Wartungsprotokolle bis hin zur Bedienungsanleitung des Enforcement Trailers „PoliScan FM1“. Die Entscheidung signalisiert Behörden und Gerichten, Verfahren rund um Verkehrsordnungswidrigkeiten transparenter zu gestalten und damit das Recht auf effektiven Rechtsschutz zu wahren (VerfGH Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 27.10.2022, Az.: VGH B 57/21).

Vom Bußgeldbescheid zum Verfassungsgerichtshof

Im Oktober 2017 wurde der Beschwerdeführer mit einem Bußgeldbescheid der Polizei Rheinpfalz belegt: Er habe außerhalb geschlossener Ortschaften die erlaubte Höchstgeschwindigkeit um 34 km/h überschritten. Die Messung erfolgte mit dem in einem Anhänger (sogenannter Enforcement Trailer) installierten Gerät „PoliScan FM1“. Nach zunächst eingelegtem Einspruch verweigerte das Amtsgericht Wittlich im Januar 2021 erneut die Herausgabe zentraler Messunterlagen – etwa der Statistikdatei („Case List“), der Reparatur und Wartungsnachweise sowie einer aktuellen Bedienungsanleitung des Trailers – und verurteilte den Betroffenen zu einer Geldbuße von 80 Euro. Im Hinblick auf diese Entscheidung beantragte der Betroffene beim Oberlandesgericht die Zulassung der Rechtsbeschwerde, scheiterte damit jedoch. Schließlich wandte er sich mit einer Verfassungsbeschwerde an den VerfGH Rheinland-Pfalz.

Einsichtsrecht als Grundrecht auf ein faires Verfahren

Zentraler Streitpunkt war die Frage, inwieweit ein Betroffener in einem standardisierten Messverfahren Anspruch darauf hat, sämtliche vorhandenen Messunterlagen einzusehen – auch wenn keine konkreten Anhaltspunkte für eine Fehlmessung vorliegen. Der Verfassungsgerichtshof stellte klar, dass das Recht auf ein faires Verfahren (Art. 77 Abs. 2 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Verfassung für Rheinland Pfalz) einem Betroffenen grundsätzlich das vollständige Akteneinsichtsrecht gewährt. Dabei sei nicht entscheidend, ob die Unterlagen sich bereits in der Akte befänden oder, wie im vorliegenden Fall, beim Verwaltungs¬apparat elektronisch geführt und noch nicht bereitgestellt seien. Maßgeblich sei allein die Bewertung durch die Verteidigung selbst, die anhand der überlassenen Daten entscheiden könne, ob und welche Gutachten oder weiteren Prüfverfahren erforderlich sind.

Fehlende Informationen zu Wartung und Reparaturen gaben den Ausschlag

Das Gericht betonte, dass standardisierte Verfahren wie das der Physikalisch Technischen Bundesanstalt zertifizierten Anlage „PoliScan FM1“ grundsätzlich zuverlässig seien. Ein Anspruch auf Einsicht nicht zur Bußgeldakte gelangter Informationen bestehe daher nicht, wenn z.B. die Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege oder schützenswerte Interessen Dritter entgegenstehen. In konkreten Fall sah das Gericht daher keine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren, weil die angeforderte Case-List bzw. die Statistikdatei nicht ausgehändigt worden waren. Laut VerfGH kommt es nämlich nicht allein auf die Einschätzung des Betroffenen an, sondern solche Dokumente und Unterlagen seien von der Vorlagepflicht ausgeschlossen, die noch nicht einmal eine theoretische Aufklärungschance zu begründen vermögen. Dies sah der VerfGH hier als gegeben an, sodass diese Unterlagen nicht hatten vorgelegt werden müssen.

Einem fairen Verfahren wurde das Urteil aber nicht gerecht, weil dem Betroffenen auch Reparatur-und Wartungsunterlagen nicht herausgegeben worden waren. Diese hätten, das hatte der VerfGH bereits zuvor entschieden, eine Funktionsbeeinträchtigung aufdecken können. Zwar kann, wenn keine Wartungsunterlagen oder Reparaturunterlagen vorliegen, nichts herausgegeben werden. Es könne aber eine Erklärung hierüber gefordert werden. Und alle Informationen, die gegeben worden waren, entsprachen nicht dem für die Aufdeckung einer Funktionsbeeinträchtigung relevanten Zeitraum. Damit beruhte das Urteil des Amtsgerichts auf einer Grundrechtsverletzung und war aufzuheben.

Christian Demuth, Düsseldorf
Rechtsanwalt l Fachanwalt für Strafrecht
Verkehrsrecht l Verkehrsstrafrecht l Bußgeldrecht

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