Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr - BGH hebt unsaubere Urteile auf
Verurteilungen wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gemäß § 315b Strafgesetzbuch (StGB) sowie Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß §315c StGB kranken häufig daran, dass das Merkmal „Beinahe-Unfall“ und die Voraussetzung der“ konkreten Gefährdung einer fremden Sache von bedeutendem Wert“ vom Gericht unzureichend oder gar nicht gewürdigt wird.
Kein "Beinahe-Unfall"
Daran erinnern zwei aktuelle Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGH). In der einen Entscheidung (Beschluss vom 3.11.2009, Az.: 4 StR 373/09) hatte sich der Senat mit dem Urteil des Landgerichts (LG) zu befassen, dass einen Mann wegen eines vollendeten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr verurteilt hatte, der, als er den PKW seiner ehemaligen Lebensgefährtin sah, seinen Wagen auf die Gegenfahrbahn lenkte, wodurch es zur Möglichkeit eines Frontalzusammenstoßes gekommen war. Dies hatte der früheren Ankündigung von ihm entsprochen: „Wenn ich dich fahren sehe, fahre ich drauf zu, auch wenn wir beide in den Himmel kommen.“ Nach Auffassung des BGH war die Verurteilung nicht rechtens.
Die Bundesrichter bemängelten, das LG habe nicht genügend dargelegt, dass der Verkehrsvorgang zu einer kritischen Situation im Sinne eines Beinahe-Unfalls geführt habe. Die Feststellung, dass sich beide Fahrzeuge in enger räumlicher Nähe befunden haben, reiche dafür allein nicht aus. Der nach der herrschenden Rechtsprechung für eine Verurteilung notwendige „Beinahe-Unfall“ setze eine Situation voraus, die so kritisch sei, dass es aus der Sicht eines unbeteiligten Beobachters nur vom Zufall abhängt, dass es nicht zum Unfall kommt. Dies sei aber nicht der Fall, wenn das Opfer noch ohne Weiteres ausweichen konnte. Zwar kommt dann immer noch eine Bestrafung wegen versuchtem gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr in Frage, doch muss dazu der Täter bei seinem Handeln die schwere Unfallfolge bewusst in Kauf nehmen. Das war im vorliegenden Fall nicht so, denn der Angeklagte hatte glaubhaft erklärt, dass er keinen konkreten Unfall mit schwerwiegenden Folgen verursachen wollte.
Den Wagen als Waffe missbrauchen
Im Jahr 2005 hatte der BGH in einer anderen Entscheidung speziell für Vorgänge im fließenden Verkehr ausgeführt, dass es für die Annahme eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr nicht ausreiche, wenn der Täter lediglich mit Gefährdungsvorsatz auf eine Person - hier handelte es sich um einen Polizeibeamten - zufahre. Hinzu kommen müsse der bewusst zweckwidrige Einsatz des Fahrzeugs in verkehrswidriger Absicht, so dass es mit mindestens bedingtem Schädigungsvorsatz als Waffe missbraucht werde (Beschluss vom 1.9.2005, Az.: 4 StR 292/05). Ein Verteidigungsansatz in vergleichbaren Fällen wäre außerdem darin zu sehen, dass der Angeklagte, der auf ein anderes Fahrzeug zuhält, dann aber noch durch Ausweichen eine Kollision beider Fahrzeuge verhindert, mit strafbefreiender Wirkung vom Versuch der Tat zurückgetreten ist. Übrig bliebe dann noch eine mögliche Strafbarkeit wegen Nötigung.
Abstrakte Gefahr reicht nicht aus, sie muss konkret sein
In dem anderen Fall, in dem der BGH gesprochen hat (Beschluss vom 20.10.2009, Az.: 4 StR 408/09), war die vorbestrafte Angeklagte vom LG Kempen wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in fünf Fällen und Betruges sowie versuchten Betruges zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sieben Monaten verurteilt worden. Sie hatte mehrere Verkehrsunfälle absichtlich herbeigeführt. Ihre Revision gegen das Urteil war erfolgreich, denn das Landgericht hatte in den Urteilsgründen nicht festgestellt, dass durch das Verhalten der Angeklagten Leib oder Leben eines anderen Menschen konkret gefährdet worden war. Es hatte lediglich festgestellt, dass bei Unfällen dieser Art regelmäßig ein HWS-Trauma, ein sogenanntes Schleudertrauma, zu erwarten sei. Diese Feststellung hielt der BGH nicht für ausreichend, da hiermit keine konkrete Gefährdung dargelegt worden sei. So fehlten insbesondere Angaben zu den Geschwindigkeiten der PKW im Kollisionszeitpunkt und der Intensität des Aufpralls.
Gefährdung einer fremden Sache von bedeutendem Wert
Außerdem nahm der Senat die Revisionsentscheidung zum Anlass, an die korrekte Prüfung des Merkmals „Gefährdung einer fremden Sache von bedeutendem Wert“ zu erinnern. Hier sei zunächst zu klären, ob es sich bei der gefährdeten Sache um eine solche von bedeutendem Wert handelt. Dann, in einem zweiten Schritt, ist zu prüfen, ob ihr auch ein bedeutender Schaden gedroht hat, wobei ein tatsächlich entstandener Schaden geringer sein kann als der maßgebliche Gefährdungsschaden. Entsprechende Feststellung fehlten im Urteil des Landgericht Kempen. Die Vorinstanz hatte nicht festgestellt, ob das Fahrzeug einer Geschädigten bedeutenden Wert hatte. Außerdem hatte das LG unzulässig aus der Höhe des von der Angeklagten bei der gegnerischen Versicherung in einem Fall betrügerisch geltend gemachten Betrages den Schluss gezogen, dass auch den jeweils beteiligten Fahrzeugen der anderen Unfallbeteiligten bedeutender Schaden drohte.
Wergrenze für Gefährung einer Sache steigt mit der Teuerungsrate
Hinsichtlich der Wertgrenze für die Annahme der Gefährdung einer Sache hat der BGH in einer Entscheidung aus 2007 festgestellt, dass diese im Jahr 2000 bei mindestens 750 Euro lag. Außerdem komme es für die Berechnung des Gefährdungsschadens auf die am Marktwert zu messende Minderung an (Beschluss vom 27.9.2007, Az.: 4 StR 1/07). Berücksichtigt man die Teuerungsrate, wird man für das Jahr 2010 zweifellos eine deutlich höheren Wertgrenze für die Bedeutsamkeit der gefährdeten Sache ins Feld führen können. Dies kann vor allem bei älteren oder bereits vorgeschädigten Fahrzeugen von entscheidender Bedeutung sein.
Bei einer Anklage oder einem Urteil wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr kann sich eine besonders kritische Prüfung lohnen. Nicht selten lässt die Justiz hier die erforderliche Genauigkeit vermissen.
Christian Demuth, Düsseldorf
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